Hana Usui: ELECTRIC SHADOWS
kuratiert von Chiara Giorgetti
Ausstellung 15.03. – 28.04.2023
Eröffnung der Installation und Midissage mit Chiara Giorgetti & Hana Usui am Dienstag 28.03., 19 – 22 Uhr
Finissage am Samstag 29.04., 11 – 16 Uhr
Kunstraum Feller
Kaisterstr. 54, 1070 Wien
Kontakt: mail@hana-usui.net, +43 670 550 35 07
Öffnungszeiten: Mi – Fr, 15 – 18 Uhr und nach Vereinbarung
Gefördert von der Stadt Wien - MA7, vom Kulturbudget des Bezirks Neubau sowie von der Bildrecht und mit freundlicher Unterstützung von Marcello Farabegoli Projects und FELLER Power Cords
Hana Usui zum Projekt: "Seit meiner Kindheit bin ich gegen Kernenergie, auch wegen des Einflusses meiner Eltern. In der Mittelschule sammelte ich Zeitungsartikel über den Reaktorunfall in Tschernobyl sowie über die zugehörige Verstrahlung in den Jahren danach und stellte ein Sammelalbum mit dem Titel Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl zusammen. Wie allgemein bekannt, verursachte am 11. März 2011 ein starker Tsunami einen schweren Unfall im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi. Damals lebte ich bereits in Wien und verfolgte mit großer Bange alle Ereignisse.
Seit meiner Jugend bin ich an politischen sowie sozialkritischen Themen sehr interessiert, aber ich erst ab 2014 angefangen politische oder sozialkritischen Kunstwerke zu schaffen. Als ich im genannten Jahr eingeladen wurde im Rahmen der Vienna Art Week an der Ausstellung No More Fukushimas teilzunehmen, versuchte ich, mittels meiner künstlerischen Arbeit die Reaktorkatastrophe zu thematisieren. Damals war dies aber für mich noch nicht möglich, weil das tragische Ereignis noch relativ frisch war, weil ich Fukushima noch nicht besucht hatte und die dort lebende sowie leidende Bevölkerung mit meinen Aktivitäten nicht noch mehr verletzten wollte. Also begann ich mich mit dem verwandten Thema der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zu beschäftigen. Japan mangelt es an natürlichen Ressourcen. Auf der Suche nach ihnen griff Japan in der Vergangenheit diverse Nachbarländer an, verübte zahllose Gräueltaten und schloss sich aufgrund imperialistischer Ziele dem Ersten Weltkrieg und dann dem Zweiten Weltkrieg an, der die Atombombenabwürfe auf sich zog. Seit meiner Kindheit habe ich immer wieder von den Schrecken der Atombombenabwürfe gehört. Obwohl die meisten Japaner diese ebenfalls kennen, konnte sich Japan dem Druck der USA nicht entziehen und baute in der Nachkriegszeit ein Kernkraftwerk nach dem anderen.
Nach Schwarzer Regen (auf Hiroshima), einer Werkgruppe zum eben genannten Thema, begann ich mich dann auch mit anderen sozialkritischen Themen aus meinem Heimatland zu beschäftigen wie etwa der Todesstrafe, der brutalen Delphinenjagd in der Hatakejiri Bucht von Taiji, der Diskriminierung von Koreaner*innen und sonstigen Minderheiten in Japan.
Später hatte ich endlich die Gelegenheit, Fukushima zu besuchen. Der Tsunami und der Atomunfall hatten die Landschaft gravierend verändert. Entlang der Küste wurden die Gebäude vom Tsunami weggespült, Wälder starben aufgrund von Salzschäden ab und der Bau von kilometerlangen und sehr hohen Wellenbrechern hatte begonnen. In der hoch radioaktiv verseuchten Sperrzone hatte sich zwischen den unbewohnbaren Häusern ein Dschungel aus Sträuchern, wilden Pflanzen und Bäumen gebildet. Wenige der überlebenden Nutztieren wie etwa Kühe und Sträuße wilderten herum...
Die naturreiche Region Tōhoku, in der die Präfektur Fukushima gelegen ist, ist eine meiner Lieblingsregionen Japans, und ich war nicht zum ersten Mal dort. Als ich aber auf der Autobahn Richtung Fukushima fuhr, fielen mir zum ersten Mal Reihen von Hochspannungsleitungen richtig auf, die in Nord-Süd-Richtung über den Wald auf beiden Seiten der Autobahn verliefen. Diese Hochspannungsleitungen transportieren das in Fukushima erzeugte Strom nach Tokio. Die aufragenden Stahlmasten zerstören die wunderschöne, natürliche Landschaft. Gleichzeitig aber erinnern die Leitungen an Musikpentagramme, die hoch in der Luft unmerklich schwingen. Ich fotografierte und filmte die Landschaft und schuf damit 2019 dreizehn Werke mit dem Titel Fukushima. Diese Schwarz-Weiß-Fotografien überdeckte ich dann mit halbdurchsichtigem Papier, auf dem ich schwarze Linien gezeichnet hatte. Die zittrigen Lineamente deuten das dichte elektrische Hochspannungsnetzwerk an, das sich um den Reaktor von Fukushima bedrohlich ausbreitet.
Im vergangenen Sommer, nachdem sich die Pandemie beruhigt hatte, kehrte ich zum ersten Mal seit mehreren Jahren in das Haus meiner Eltern in Tokio zurück. Als ich in der Umgebung herumging, fiel mir wieder auf, dass das Wohngebiet mit unzähligen Stromleitungen übersät ist. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren nahezu alle Kabel so wie heutzutage in Europa unterirdisch verlegt worden. Aufgrund der Schäden des Krieges wurden die neuen Leitungen in Tokyo vorwiegend oberirdisch verlegt, was eigentlich eine provisorische Lösung hätte sein sollen. Besonders in den Gassen der Wohngebiete werden den Häusern Strom- und Telefonleitungen oberirdisch zugeführt. Selbst enge Straßen müssen daher Betonmasten Platz einräumen, an denen in mehreren Schichten dickes Kabelwirrwarr hängt. Bis 2025 will das Japanische Ministerium für Land, Infrastruktur, Transport und Tourismus angeblich 4.000 Kilometer dieser Freilandleitungen unterirdisch verlegen. Die Erfahrung von mehreren starken Erdbeben hat gezeigt, dass unterirdische Stromkabel durch die Erschütterung weit weniger zerstört werden als oberirdische, bei denen die Masten ins Schwingen geraten und oft umstürzen. Die Reparatur oberirdischer Leitungen ist allerdings einfacher und günstiger. Der Widerstand gegen unterirdische Stromnetze in Japan ist stark. Womöglich wegen der hohen damit verbundenen Kosten oder weil dieser verspielte Leitungswirrwarr uns Japanern einfach gefällt.
Während meines Aufenthalts in Tokio faszinierten mich insbesondere an sonnigen Tagen die Schatten, welche die etwa drei Meter hohen Stromleitungen auf den glühenden Asphalt warfen. Ich fotografierte diese und konzentrierte mich auf die Schatten, die wie abstrakte Malereien anmuten, eher aus rein ästhetischen Gründen. Aber auch weil man mit Schatten oft Kehrseiten bzw. negative Aspekte meint. Wir benutzen unbekümmert den Strom und genießen sogar den Kabelsalat in den Gassen Tokyos, aber vergessen allzu oft, woher dieser Strom kommt: in Japan leider hauptsächlich aus Kernkraftwerken oder fossilen Rohstoffen!
Schließlich habe ich mich entschieden, die Fotos der Stromleitungsschatten auf Transparentpapier drucken zu lassen. Auf einem anderen, dahinterliegenden Blatt zeichne ich wieder mit Ölfarbe Linien, mit denen ich sehr frei und ansatzweise die Hochspannungsleitungen Fukushimas andeuten möchte. Es kommt dabei auf technischer Ebene zu einer Inversion. Vor vielen Jahren hatte ich damit begonnen, mit einer von mir speziell entwickelten Ölpausentechnik Linien zu zeichnen. In einer ersten Phase übermalte ich mit Tusche die Zeichnungen, um sie sozusagen zu „vertuschen“. Diese Tuschelavierungen wanderten dann allmählich in den Hintergrund der Zeichnungen und deuteten auf den japanischen Kontext meiner Arbeit hin. Schließlich „kondensierten“ sie zu Schwarz-Weiß-Fotografien und thematisierten diverse sozialkritische Themen Japans wie etwa das Gefängnis für zum Tode Verurteilte, typische Kleinjobs diskriminierter Koreaner*innen und nicht zuletzt die oben genannten Landschaften aus Fukushima. Dieses Mal kommen die Fotos aber in den Vordergrund und lassen meine Zeichnungen nur zart durchscheinen. Vielleicht möchte ich damit metaphorisch bezwecken, den Schatten der Kabelleitungen, in den elektrischer Strom fließt, eine der wichtigsten Errungenschaften der Menschheit, allmählich an die Oberfläche zu bringen, obwohl ich da bewusst dem Betrachter Interpretationsfreiheit überlassen möchte.
Ich bleibe jedenfalls der Meinung, dass Atomkraft hochgefährlich ist. Trotz des skandalösen sog. „Greenwashing“ von Atomstrom und Gas seitens der EU-Kommission und den von der aktuellen Energiekrise angeregten Debatten, Atomkraftwerke in Europa nicht wie geplant abzuschalten, zeigt uns auch der schreckliche Krieg in der Ukraine umso mehr die Gefahren von Atomkraft!
Einen der beiden Räume vom Kunstraum Feller werde ich also mit den eben beschriebenen neuen Foto/Zeichnungen bespielen. Nicht zuletzt werde ich im zweiten Ausstellungsraum mich mittels einer Installation den AKWs Zwentendorf und Buhonice sowie dem tagesaktuellen Thema des Blackouts widmen.
Mit dieser Art Epilog-Ausstellung möchte ich auch das Fukushima-Thema zur Seite legen, um mich endlich auch anderen, nicht japanischen sowie positiven Themen widmen zu können. Das Thema Atomkraft bzw. Energie im Allgemeinen wird allerdings weiterhin eine wichtige Rolle für mich spielen."
Kurbiografie von Hana Usui
Hana Usui (*1974 , Tokyo / JP) studierte Kunstgeschichte an der Waseda Universität und Kalligraphie in Tokyo. Ihre abstrakten Zeichnungen fertigt sie mit weißer oder schwarzer Ölfarbe an, die sie auf Tuschelavierungen oder Fotografien überträgt. Seit 2014 nutzt sie ihr künstlerisches Vokabular vor allem, um Ungerechtigkeiten in den Bereichen Umwelt, Politik und Gesellschaft zu thematisieren und wird zunehmend multimedial und installativ tätig.
Ausstellungen (Auswahl): „A Human Desert Made by Humans“, Neuer Kunstverein Wien @ Foto Wien (solo, 2022), „Fukushima – 10 Years Later“, Club der polnischen Versager @ Berlin Art Week und „House of Losing Control“ @ Vienna Art Week (2021); „Japan Unlimited“, frei_raum Q21 / MuseumsQuartier Wien (2019); „Zeig mir Deine Wunde“, Dom Museum Wien (2018-19); Arbeiten auf Papier aus der Sammlung, Kunsthalle Bremen (2017); Zeichnungsbiennale, Stadtmuseum Rimini (2016); „At the Nexus of Painting and Writing“, Seoul Arts Center (2013); „Japanische Gegenwartskunst auf Papier“, Staatliche Kunstsammlungen Dresden (2010); „Vom Esprit der Gesten“, Staatliche Museen zu Berlin (2010); „Sensai“, Museum Residenzgalerie Salzburg (2009); „Works on Paper“, Manggha Museum of Japanese Art and Technology, Krakau (solo, 2009); „Keisei-ten“, Tokyo Metropolitan Art Museum (1994-1998).
Sammlungen (Auswahl): Albertina Wien, Berlinische Galerie, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Graphische Sammlung der Akademie der bildenden Künste Wien, Kunsthalle Bremen, Museum Kunstpalast Düsseldorf, Museum für Neue Kunst Freiburg, Museum der Moderne Salzburg, Manggha Museum of Japanese Art and Technology Krakau, Otto Mauer Contemporary – Dom Museum Wien, Staatliche Museen zu Berlin und Wien Museum.
Kurzbiografie von Chiara Giorgetti
Als Professorin für Kunstgrafik im zweijährigen Spezialisierungskurs an der Accademia di Belle Arti di Brera (Akademie der Schönen Künste in Brera), Mailand, befasst sie sich mit Fotografie, Web und Kunstdruck, wobei sie ihre Forschung auf die Kommunikation und die Komplexität der Beziehungen in einer von der Technologie beherrschten Gesellschaft sowie auf die Analyse der Prozesse der Sprachen der Kunstgrafik konzentriert. Seit den 1990er Jahren hat sie an Ausstellungen teilgenommen, Konferenzen und Workshops in Italien und im Ausland abgehalten, für Zeitschriften und Websites geschrieben und zahlreiche Texte in Katalogen veröffentlicht. Zu ihren wichtigsten Erfahrungen gehört die Zusammenarbeit mit Urban Corporis, einer von Iuvas.org herausgegebenen Zeitschrift für Kunst, Architektur, Urbanistik und Philosophie, sowie mit der von G. Landi herausgegebenen digitalen Zeitschrift Parola d'artista, die Interviews mit Künstlern und Fachleuten der zeitgenössischen bildenden Kunst enthält. Im Jahr 2001 gründete sie das Webzine Printshow.it, das sich mit Kunstgrafik und Künstlerbüchern befasst. 2012 bis 2019 war sie Co-Kuratorin des Projekts da>verso der School of Art Graphics an der Akademie Brera, einer Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen verbaler und visueller Sprache in Zusammenarbeit mit dem Otis College in Los Angeles, an der Künstler und einige der führenden zeitgenössischen Dichter, Übersetzer und Wissenschaftler aus Italien und darüber hinaus teilnahmen.
Wichtigste Ausstellungen und Publikationen seit 2017: 2022 in „Senza Titolo N°2“ kuratiert von Piero Varroni; „Territori della grafica“ kuratiert von Accademia di Belle Arti di Roma; 2021 „Positivo/negativo Shanghai-Florenz“, Sino Italian Design Exchange Center, Florenz; 2019 „Idea e pratica artistica“, Atelier Armadillo, Florenz; in „Arte Scienza N°12“-Halbjahreszeitschrift, Text von Ugo Locatelli, „BAU. 15“ kuratiert von Vittore Baroni und Antonio Bove, GAMC Galleria d'Arte Moderna e Contemporanea, Viareggio; Triennale di Milano und verschiedene andere Ausstellungsorte; „Dialog mit Yinchuan: China-Italien“, Museum für zeitgenössische Kunst Yinchuan; „Figurativ-abstrakt. Towards unexplored horizons“ kuratiert von Roberto Mutti und Maria Rosa Pividori, Galleria Quinto Cortile, Mailand; „No Place 4“, kuratiert von Umberto Cavenago und Gabriele Landi, Santo Stefano di Magra; 2018 „Lost Items“, Showroom Paper&People, Mailand, Santa Croce; „Prize for Art Graphics“ kuratiert von Ilaria Mariotti, Villa Pacchiani, Santa Croce sull'Arno; 2017 „Graft“ kuratiert von Marcello Farabegoli und Richard Adam, Miroslava Kubika Gallery, Litomysl; „L'opera assente“, Studio Gennai Arte Contemporanea, Pisa. https://chiaragiorgetti.wordpress.com/2022/06/01/info/ und https://www.instagram.com/ch_giorgetti/